Grosser Schritt bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung

Es passiert selten, dass einem bereits vor einer Ratssitzung etwas so klar vor Augen geführt wird: Die Inklusion von Menschen mit Behinderung hat in unse­rer Gesellschaft nach wie vor einen schweren Stand. Einige Besucher:innen im Rollstuhl konnten nämlich nicht im Ratssaal der Sitzung beiwohnen, weil im eh schon knapp bemessenen Rathaus Weinfelden dafür der Platz fehle und die Tribüne nur über eine Treppe erreichbar ist. Immerhin wurde im Foyer ein grös­serer Bildschirm montiert.
(Grossratsgeflüster der Sitzung vom 15. Februar)

Auf der Traktandenliste stand u.a. ein überparteilicher Vorstoss «Erstellung eines Rahmenkonzeptes zur Behindertenpolitik in den Bereichen Wohnen und Arbeiten». Der Antrag fordert neben einem Konzept auch ein neues Finanzierungsmodell – bei­des unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ziel ist es, selbst­bestimmtes Wohnen und Arbeiten auch für alle Menschen mit einer Behinderung zu ermöglichen. Heute dürfen sie zum Teil nicht einmal ihren Wohnort selbst wählen und die Arbeitsmodelle sollen besser auf die eigentlichen Bedürfnisse und Wünsche der Ar­beitnehmer:innen abgestimmt werden.

Der Regierungsrat wiegelte ab und verwies auf eine bereits eingesetzte Arbeitsgrup­pe (notabene zwei Monate nach Eingang des Vorstosses), die bereits grundlegend an dieser Thematik arbeitet. Das sei unzureichend, meinen die meisten Vorstösser:innen: Es fehle an Betroffenen, an Fachpersonen und ganz grundsätzlich am Wissen über den Inhalt der UN-Behindertenrechtskonvention.

Der SP-Fraktionssprecher, Turi Schallenberg, brachte auf den Punkt, um was es ei­gentlich geht: «Im Antrag aber geht es nicht um einen umfassenden Bericht und ums grosse Ganze betr. der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, sondern es geht um die grundlegenden Bedürfnisse von Wohnen und Arbeit. Menschen, egal ob mit oder ohne Behinderung, wollen ein Teil der modernen Welt sein. Sie wollen die Möglichkeit haben in der für sie passende Wohnform zu leben, z.B. in einer eigenen Wohnung oder in einer WG und nicht zwingend in einer für sie vorgesehenen Institu­tion. Freie Menschen, die entgegen ihrem Wunsch in einer für sie vorgesehenen In­stitution leben müssen, sind nicht frei.

Menschen wollen einer Arbeit nachgehen, die Ihnen Freude macht und nicht nur Auf­gaben erfüllen, die für sie vorgesehen sind. Die aktuellen Konzepte und Leitfäden des Kantons sind veraltet und eine summarische Überprüfung wird der heutigen Situa­tion nicht gerecht. Wir sind wieder an einem Punkt, an dem wir unsere Haltun­gen, unsere seine Sicht der Dinge bezüglich der Menschen mit Behinderungen über­prüfen müssen. Und genau deshalb braucht es ein Rahmenkonzept zur Behinderten­politik im Bereich Wohnen und Arbeiten.»

Der Grosse Rat stimmte dem Antrag mit 68 zu 51 Stimmen zu und im Foyer wurde gejubelt.

Nach der Ablehnung der Motion «Stimm- und Wahlrechts für Menschen mit Behinde­rung» ist das endlich ein erstes positives Zeichen der Thurgauer Parlaments für mehr Inklusion und für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Das Thema wird uns noch lange beschäftigten, der Weg vom Konzept bis zum Gleichstellungs­gesetz ist noch ein weiter. Wir bleiben dran.

Nina Schläfli

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