Betroffene Menschen im Testfall Münsterlingen – Das Dossier darf nicht einfach geschlossen werden

Stellungnahme von Marina Bruggmann, Edith Wohlfender-Oertig und Peter Dransfeld (GRÜNE) zur Diskussion und zum Votum vom 10. November. 2021

Welchem Menschen steht es zu, über andere zu urteilen, ausser dem Gericht oder der Wissenschaft?

Mit unserer Interpellation «Betroffene Menschen im Testfall Münsterlingen – Das Dossier darf nicht einfach geschlossen werden.» haben wir im November 2020 vier Fragen an den Regierungsrat in Bezug auf eine mögliche Wiedergutmachungszahlung an die Betroffenen von Medikamententests in der psychiatrischen Klinik Münsterlingen gestellt. Nur vier Fragen zu dieser Medizingeschichte, die im Buch «Testfall Münsterlingen – Klinische Versuche in der Psychiatrie 1940-1980» vor 2 Jahren nach einer fundierten wissenschaftlichen Aufarbeitung fundiert aufgearbeitet wurde. Mit keinem Wort haben wir in unserer Interpellation das Wirken von Prof. Dr. Kuhn erwähnt.
Wir sind nach wie vor sprachlos ob dem Votum von Frau Käthy Züricher im Rahmen der Diskussion über unsere Interpellation. Sie rechtfertig die Machenschaften des damaligen Klinikleiters, Prof. Dr. Kuhn über alle Böden hindurch. Nicht genug, zuletzt unterstellt sie den Interpellierenden, dass sie ungenau recherchiert und keine Kenntnisse zu Patientenakten hätten. Noch viel schlimmer ist aber die Aussage, all die damaligen Tests beruhen auf Freiwilligkeit. Ein blanker Hohn gegenüber den Betroffenen.

Das Argument von Kantonrätin Zürcher, dass ja durch solche Tests ein Medikament für die Therapie von Menschen mit Depression erforscht und entwickelt werden konnten, entbehrt jeglicher Würde gegenüber den damaligen Patienten. Bereits zu jener Zeit des Wirkens von Prof. Kuhn bestanden Kodizies. So z.B. der Nürnberberger Kodex aus dem Jahre 1947 der besagt, dass bei medizinischen Versuchen an Menschen «die freiwillige Zustimmung der Versuchspersonen unbedingt erforderlich ist. Das heisst, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben, dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwangs, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichen kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können.» (aus dem Leserbrief von Prof. Dr. G. Hildebrandt, St.Gallen 9.8.2016).
Die Aussagen von Frau Züricher, es sei halt in der damaligen Zeit quasi üblich gewesen, die Patientenrechten zu negieren, greift zu kurz. Nach unserem Ermessen waren sie beleidigend gegenüber den Menschen, die von den Medikamentenversuchen betroffen waren und unfreiwillig, wir betonen unfreiwillig, über Jahre in der Klinik Münsterlingen eingeschlossen waren.

Marina Bruggmann, Kantonsrätin SP
Edith Wohlfender-Oertig, Kantonsrätin SP
Peter Dransfeld, Kantonsrat GRÜNE

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