Wenn Regulierung und Staat plötzlich ganz süss schmecken

(Grossratsgeflüster, Nina Schläfli vom 14. September 2022)

Nach zweieinhalb Jahren Sonderaufenthalt in der Rüegerholzhalle und im Rathaus Frauenfeld fand vorerst die letzte Sitzung in der Hauptstadt statt. Traditionsgemäss tagen wir ab der WEGA-Sitzung wieder in Weinfelden.

Den Umzug mussten wir uns verdienen: Die vielfältige und lange Traktandenliste erforderte einmal mehr eine ganztägige Sitzung. Das zentrale Geschäft war die Richtplanänderung «Kleinsiedlung». Über 300 sogenannte Weiler und Kleinsiedlungen mussten im Richtplan einer Zone zugewiesen werden. Der Grund dafür ist das nicht mehr ganz so neue Raumplanungsgesetz, das der Zersiedelung einen Riegel schieben möchte.  Der grösste Teil der Arbeit erledigte ein Projektteam, das Parlament nahm den abschliessenden Bericht zur Kenntnis und beschloss eine gesetzliche Grundlage zur Entschädigung von Härtefallen. Unsere Fraktionssprecherin Christine Steiger betonte in der Diskussion, dass mit der vorliegenden Lösung «jeder Spielraum, den der Bund überhaupt zulässt, ausgenützt wird. Kurz gesagt, das, was hier vorliegt, ist das Bestmögliche.» Mit der Genehmigung des Berichtes neigt sich ein jahrzehntelanger Prozess langsam dem Ende zu.
Auf die baurechtlichen und raumplanerischen Debatten folgte ein Bouquet an verschiedenen Themen. Im Bericht zur «Regulierungsbremse» wurde zwar festgehalten, dass im Kanton die Regulierungsdichte tendenziell abnimmt und eine Regulierungsprüfung durch die Regierung in Aussicht gestellt, den bürgerlichen Kolleg:innen reichte das aber nicht. In der mit Anglizismen gespickten Diskussion forderten sie aus Prinzip weitergehende Massnahmen und beklagten sich über die Bürokratie. Kantonsrat Felix Meier hielt den neoliberalen Träumereien entgegen: «Wohin die Verteufelung staatlicher Eingriffe und schon beinahe Mantra mässige Beschwörung der Total-De-Regulierer geführt hat, haben wir 2008/2009 beim Zusammenbruch von Lehman Brothers gesehen. Und wir sehen gerade, wohin die neoliberale Gläubigkeit an die Allmacht des privaten Marktes das Gesundheitswesen in England führt.» Für die Fraktion SP und Gewerkschaften ist klar: Für das Zusammenleben, die Wirtschaft und Gesellschaft braucht es gewisse Regeln. Sie dürfen aber nie zum Selbstzweck werden und müssen den Betroffenen und der Bevölkerung erklärt werden.
Wie so oft beschloss die Ratsmehrheit bereits im nächsten Traktandum eine Kehrtwende: Von «möglichst wenig Staat», zu «bitte mehr Staat». Eine Standesinitiative, die den Selbstversorgungsgrad mit Schweizer Zucker erhalten möchte, wurde zur Bearbeitung nach Bern überwiesen. Die zwei bestehenden Schweizer Zuckerfabriken sollen erhalten bleiben – zur Not auch mit Subventionen. Kantonsrätin Edith Wohlfender unterstützte im Fraktionsvotum das Kernanliegen zwar, zeigte aber auch die damit verbundenen Probleme auf: die Folgen für die Gesundheit durch übermässigen Zuckerkonsum, der Pestizid-intensive Anbau von Zuckerrüben, die schlechten Arbeitsbedingungen von Erntehelfer:innen in der Landwirtschaft, uvm.
Noch ein kleiner Ausblick auf die nächste Sitzung: Wie immer, wenn Wega ist, tagt der Grosse Rat ausnahmsweise an einem Montag statt am Mittwoch und damit au ja kein Ratsmitglied den Treibstoff-verschleissenden Überflug der Patrouille Suisse verpasst, endet die Sitzung auch schon wieder um 11:15 Uhr. Worauf ich mich aber wirklich freue: Die SP Thurgau hat dieses Jahr einen Stand an der Wega. Kommt vorbei!

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