Die Armut ignorieren ist keine Lösung

Grossratsgeflüster vom 26. August 2020 von Christian Koch, Kantonsrat Matzingen

Der Grosse Rat tagt. Langsam füllt sich die Festhütte – das Virus hockt noch im Rathaus und lässt keine Kantonsräte rein. Die Stühle sind noch immer zu tief für die Festbänke und die Tonanlage hat nach wie vor Macken. Immerhin liegt auch dieses Mal wieder ein kleines Appetithäppchen am Platz bereit.
Nachdem wir alle beim Namensaufruf ein Ja in die Halle gebrüllt haben erinnert das erste Traktandum an Morgengymnastik. Schlussabstimmung Geldspielgesetzgebung, drei Teilvorlagen: aufstehen, absitzen, aufstehen, absitzen, aufstehen, absitzen. Damit sind dann wohl alle wach.

Dann diskutiert der Rat über eine Motion aus unseren Reihen. Es geht um Armut bei Familien, beziehungsweise darum, wie sie bekämpft werden könnte. Einmalmehr macht sich die erschreckende Macht der rechtsbürgerlichen Phalanx aus SVP, EDU und FDP bemerkbar. “Jetzt haben wir doch den Kinderabzug erhöht, dass reicht doch”. Dass es um Familien geht, denen das gar nichts bringt, weil sie nur von soviel Geld träumen können, welches ansatzweise in die Nähe eines steuerbaren Einkommens kommt, wird vergessen. “Und dann gibt’s ja die Sozialhilfe”. Ja, genau – und je nach Gemeinde. Zudem ist dies als Dauerlösung nicht zielführend. Aber eben, wenn man die Armut weiter ignoriert, braucht es auch keine Lösung.
Dafür haben dieselben Kreise etwas Neues gefunden, wo man deregulieren könnte. Mit grosser Mehrheit wird von unseren rechten Mitparlamentariern eine Motion überwiesen, die eine gastgewerbliche Patenterteilung an juristische Personen ermöglicht. Naja, profitieren werden davon die ganz grossen Ketten, welche so nicht mehr für jede Filiale ein Patent benötigen. Denen wird jetzt gegenüber den traditionellen Restaurants ein Wettbewerbsvorteil verschafft – lieber McDonald’s als Quartierbeiz. Das lokale Gewerbe kann ja dann später wieder jammern.
Zuletzt diskutiert der Rat die kantonale Umsetzung der Istanbul-Konvention. Handlungsbedarf zum Schutz der Frauen vor Gewalt wird auch hier im Wesentlichen nur von den beiden Tischreihen am Rand gesehen. Immerhin ist das eine oder andere getan, doch vieles bleibt zu machen. Damit endet die Sitzung und die Politiker verlassen die Festhütte. Ein Fest war’s nicht.

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